Sommerinterview mit Helmut Holter

OSTSEE-ZEITUNG: Wie kam es 1998 zur bundesweit ersten rot-roten Koalition?

Helmut Holter: Der Weg dorthin begann 1994. Damals forderte die SPD unter Ringstorff von uns sogenannte notwendige Klarstellungen: Wie steht die PDS u.a. zu Demokratie und Rechtsstaat sowie zur Vereinigung von SPD und KPD zur SED? Unseren Antworten reichten der SPD nicht. Erst mit dem Aufkommen einer politischen Wechselstimmung bot sich 1998 die Chance für Rot-Rot.

OZ: Wie nahm Ihre Partei die Idee einer Koalition auf?

Holter: Es gab in der PDS immer Gegner und Kritiker; Regieren oder Opponieren wurde unter den Linken heiß diskutiert. Rot-Rot war damals ein Tabubruch in Deutschland: Nur acht Jahre nach dem Umbruch wollten ostdeutsche Sozialdemokraten mit der Nachfolgepartei der SED regieren. In den vier Jahren der ersten rot-roten Koalition hat sich die PDS vom Schmuddelkind zu einer anerkannten politischen Kraft entwickelt.

OZ: Bereits 1994 schien eine Koalition zwischen SPD und PDS möglich. Warum kam es nicht dazu?

Holter: 1994 hatte ich mich mit Harald Ringstorff zu offiziellen Gesprächen getroffen, um auszuloten, ob eine rot-rote Koalition möglich ist. Dagegen hatten sich jedoch die Bundes-SPD, vor allem Johannes Rau und der Parteivorsitzende Rudolf Scharping, vehement ausgesprochen. Rückblickend war es damals tatsächlich noch zu früh für eine solche Konstellation.  

OZ: 1998 gab es diese Widerstände nicht mehr?

Holter: Nein. Und bereits 1996 hatte die PDS der SPD eine Minderheitsregierung angeboten. Damals spitzte sich die Lage in den Werften des Landes dramatisch zu – bis zu einer Regierungskrise. Daraus wurde jedoch nichts.

OZ: Wie gut eine Koalition läuft, hängt stark von den Politikern an der Spitze ab. Wie haben Sie sich mit Ihrem „Partner“ verstanden?

Holter: In den Jahren zwischen 1994 und 1998 haben wir uns sehr gut kennengelernt. In meiner Funktion als wirtschaftspolitischer Sprecher der PDS-Fraktion habe ich mich in dieser Zeit oft mit dem damaligen Wirtschaftsminister Harald Ringstorff getroffen. Damit haben wir eine gute, belastbare Grundlage für unsere gemeinsame Regierungsverantwortung gelegt. So ist eine richtige Männerfreundschaft entstanden. Ringstorff ist ein sehr zuverlässiger Mensch. Er steht zu dem, was man mit ihm vereinbart hat.

OZ: Wie lief die Koalition aus Ihrer Sicht?

Holter: Wir haben MV acht Jahre lang regiert, unter schwierigen Bedingungen, wie etwa der höchsten Arbeitslosenquote in Deutschland und einem immensen Schuldenberg. Wir haben bewiesen, dass beide Partner eine vernünftige Politik für die Menschen machen können. Das Klima zwischen Rot-Rot in der Koalition war ein gutes und verlässliches. Die PDS-Minister hatten zahlreiche Möglichkeiten, um zu gestalten. Ich will an den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor und die grüne Umweltpolitik eines roten Ministers erinnern. Und wir haben das Zusammengehörigkeitsgefühl der beiden Landesteile gestärkt.

OZ: In welchen Situationen hat es in der Koalition „gehakt“?

Holter: Eine sehr schwierige Krise gab es im Mai 2001. Da stand die Koalition kurz vor dem Aus. Entgegen der Absprache hatte Ringstorff im Bundesrat der Rentenreform der damaligen Bundesregierung zugestimmt. Vereinbart war, dass er sich enthalten sollte. Ringstorff kam dann zu uns in den Landesvorstand und die Fraktion und hat sich entschuldigt. Eine weitere Zerreißprobe für die PDS war Hartz IV. Wir haben die Reform abgelehnt. In der Landesregierung mussten wir sie aber mit umsetzen. Als Arbeitsminister habe ich gekämpft, für die Menschen in MV noch etwas herauszuholen.