Simone Oldenburg: Information über den Bund-Länder-Beschluss zu den Corona-Winterregeln

Frau Präsidentin,

sehr geehrte Damen und Herren,

wie lange noch?

Wie lange müssen wir noch so gravierende Einschnitte und auch Entbehrungen auf uns nehmen und ertragen?

Wie lange wird sich dieses Virus noch durch unser Leben fressen?

Wie oft werden wir hier im Parlament noch über diese Pandemie reden?

Wie oft werden wir den Lockdown noch beklagen und gleichzeitig die getroffenen Maßnahmen beschwören und verteidigen?

Wie lange sollen wir noch erklären, dass nur mit Verboten und Untersagungen das Leben wieder ein besseres wird, es wieder lebenswerter wird?

Im März waren wir der Meinung, dass wir auf Ostern und auf Familientreffen zu Pfingsten verzichten müssen, damit wir Weihnachten in gewohnter und in liebgewonnener Weise feiern können.

 

Auch der Bundesgesundheitsminister sagte im März dieses Jahres, ich zitiere:

„Die Frage, wie wir diesen Krisenmodus wieder verlassen, wird jeden Tag wichtiger. Bis spätestens Ostern will ich darauf eine gute Antwort geben können.“ (EdZ)

Und nun, Herr Spahn?

 

Besserungen im Zusammenleben, im täglichen Miteinander sind nicht in Sicht, weil sich eben das Infektionsgeschehen zwar verlangsamt, aber nicht wie erwartet gestoppt wird.

In weiter Ferne ist ein Alltag dessen Ablauf wir bestimmen und nicht eine Pandemie.

Wann ist unser Alltag endlich wieder lebenswerter statt lebensgefährlich?

Positives kann ich diesen Einschnitten nicht abgewinnen.

Natürlich wissen wir, dass sie notwendig sind, um durch die Krise zu kommen.

Wir akzeptieren sie auch, solange sie notwendig, nachvollziehbar und verständlich sind.

Das setzt voraus, dass wir als Vertreter der Familien, der Frauen und Männer, die diese großen Einschränkungen aushalten müssen, ihnen eine Stimme hier im Parlament geben.

Sie haben uns ihre Stimme gegeben, damit wir für sie, für ihre Interessen und Wünsche eintreten, damit wir sie vertreten. Das können wir aber nur tun, wenn wir gemeinsam entscheiden, welche Maßnahmen getroffen werden müssen. Da sind wir mit dem vorliegenden Beschluss einen ordentlichen Schritt weiter.

 

Es stimmt wohl, dass steter Tropfen den Stein höhlt. Denn meine Fraktion hat von Anfang an darauf gedrungen – Sie werden sich an unseren Gesetzentwurf vom April erinnern, dass nicht die Staatskanzleien allein entscheiden, wie die Krise gemeistert wird, sondern die Parlamente.

 

In keiner Verfassung und auch nicht im Grundgesetz findet sich der Begriff „Ministerpräsidenten-Konferenz“ als Stätte politischer Willensbildung. Es gibt nur einen Ort: Das Parlament. Und das bedeutet, dass alle wesentlichen Entscheidungen von den gewählten Abgeordneten getroffen werden müssen. Wir sind noch längst nicht am Ziel, aber auf der Zielgeraden.

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich kann und will mich damit einfach nicht anfreunden,

dass Kinder nicht mit ihren Freunden spielen dürfen,

dass Männer nicht zu ihren Frauen und ihren neugeborenen Kindern ins Krankenhaus dürfen,

dass man seine Verwandten nicht besuchen darf.

Es ist nicht gut,

wenn eine Familie keine Familie sein darf.

wenn man Freunde hat, aber diese nicht treffen darf,

wenn man sich auf Besuch freut, der aber nicht kommen darf,

wenn man Nähe sucht, aber Abstand halten muss.

Dann ist man einsam. Und diese Einsamkeit macht gerade den Schwachen und Schwächsten unserer Gesellschaft zu schaffen – nämlich den Älteren, den Kranken und auch den Kindern.

 

Der erste und auch der zweite Lockdown – waren und sind – hauptsächlich soziale Lockdowns. Und deshalb kann ich auch nicht von einem weichen Lockdown oder einem Teil-Lockdown sprechen. Er verursacht die größten Schäden und Verletzungen, weil die Seelen Schaden nehmen.

Keine Kinderseele kann es unbeschadet überstehen, wenn weder Freunde noch Oma und Opa zu Besuch kommen dürfen. Auf ihre kleinen Schultern wird die größte Last geladen. Sie können nicht widersprechen, weil sie nicht verstehen können. Kein Kind verfügt über den Verstand eines Erwachsenen – und selbst der hat lediglich eine Einsicht in die Maßnahmen, aber noch lange kein Verständnis.

 

Wenn in der Ostsee-Zeitung in der vergangenen Woche ein fünfjähriges Mädchen über ihren Alltag in der Pandemie mit den Worten: „Ich brauche niemanden zum Spielen. Ich hab` mich an die Einsamkeit gewöhnt.“ - wiedergegeben wird – dann zeigt es diese angekratzte Seele.

 

In Mecklenburg-Vorpommern ist die Kindheit und Jugend von ca. einer halben Million unter 18Jährigen gelinde gesagt freud- und freundlos.

 

Es kann nichts Wichtigeres geben, als für diese Kinder und Jugendlichen endlich Änderungen und zwar Verbesserungen zu erwirken, statt sie weiter zu überfordern oder sich eine „Ein-Freund-Regelung“ auszudenken. Wer so etwas tut, hat anscheinend nicht einmal den einen Freund.

Kindergeburtstage, die nicht gefeiert werden dürfen.

Schulabschlüsse, die ohne Familie überreicht werden.

Einschulungen, Konfirmationen und Jugendweihen, die zwar nach langem Hin und Her stattfinden, aber nicht so richtig gefeiert werden – dass alles muss so schnell wie möglich aus unserem Leben verschwinden – das darf niemals zur Normalität werden.

 

Eine Erstklässlerin antwortet auf die Frage, was sie denn glaube, wie lange es schon Corona gäbe: 1000 Jahre.

Für sie wir nicht das Unbeschwerte Normalität, sondern Corona.

Es gibt nur eine Kindheit.

Es gibt nur eine Einschulung.

Es gibt nur einen 6. Geburtstag.

Bei uns ist es egal, ob wir 37, 47 oder 57 werden. Aber für ein Kind sind alle Erlebnisse einmalig. Deshalb müssen alle Einschränkungen, die das Kinderleben betreffen, als erstes beendet werden. Ihre Entbehrungen müssen die ersten sein, die wieder abgeschafft werden, bevor wir über verkaufsoffene Sonntage und Kneipenbesuche reden.

 

Um den Schwachen aus dieser Krise zu helfen, kann es in den kommenden Wochen nur dann einige Lockerungen geben, wenn der Inzidenzwert unter 35 sinkt. Alles andere ist Augenwischerei. Übereilte Öffnungen werden wir alle, vor allem aber die Kinder und die Älteren, teuer bezahlen müssen.

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

Kinder tragen die größte Last, weil sie eben keine Möglichkeit haben, darüber zu diskutieren.

Sie haben keine Lobby, die ihnen diese Last nimmt, sondern sie wird ihnen aufgebürdet, weil sie nicht aufbegehren können. Das muss sich ändern. Den Kindern und Jugendlichen muss ein viel, viel größerer Schutz gewährt werden. Wir haben Wirtschaftsgipfel, Kommunalgipfel, Tourismusgipfel – aber wir haben keinen Kindergipfel, keinen Bildungsgipfel und keinen Familiengipfel.

 

Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin,

berufen Sie mit uns gemeinsam einen Kindergipfel ein, in dem es ausschließlich um die Ängste, Sorgen, aber auch Wünsche und Hoffnungen dieser Kinder und Jugendlichen geht.

Lassen wir uns nicht weiter darüber berichten, wie es ihnen geht, worunter sie leiden und womit sie gut leben können.

Lassen wir sie selbst zu Wort kommen, lassen wir sie ihr Leben auch in dieser schwierigen Zeit mitgestalten, damit sie verstehen und verstanden werden.

Und bei diesem Gipfel muss es natürlich auch um die zentrale Frage der Schule in Corona-Zeiten gehen. Sie ist schon ohne Pandemie beständig in der Krise, aber was jetzt geschieht, ist weder hinnehmbar noch zu dulden.

 

Niemals wieder dürfen Schulen, Kitas und Horte komplett geschlossen werden. Denn Schulschließungen bedeuten auch Ausgrenzungen und das Verhindern dringend notwendiger sozialer Kontakte.

In den Monaten des Bildungs-Lockdowns haben die Schülerinnen und Schüler ein Drittel des Lernstoffs verpasst, der bis heute nicht in Ansätzen nachgeholt werden konnte.

 

Ein Beispiel aus dem Raum Grevesmühlen verdeutlicht, warum hier keine Lücken geschlossen werden:

Alle Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte der Grundschule „Fritz Reuter“ sind seit dem 13. November in Quarantäne gewesen. Zum Unterricht durften sie wieder am 25. November.

Von der Quarantäne betroffen sind auch Schüler der Grundschule „Am Ploggensee“, die den Hort besuchen.

Die Siebt- und Achtklässler der Regionalen „Schule am Wasserturm“ waren seit dem 10. November in Quarantäne – sie durften Anfang dieser Woche wieder zum Unterricht.

Am Gymnasium „Am Tannenberg“ sind nur noch die Zwölft-Klässler in der Schule. Die Zehntklässler sind seit dem 11. November, die Siebtklässler seit dem 12. November, die Acht-, Neunt- und Elft-Klässler seit dem 13. November zu Hause.

Jede Schule in Grevesmühlen ist geschlossen oder zumindest weite Teile von ihnen.

 

Und wenn ich dann die Bundesbildungsministerin höre – also, falls man mal etwas von ihr hört, dann muss ich einfach feststellen, dass sie die Vorbereitung auf die zweite Welle komplett verpennt hat und wohl gedacht hat, dass sie das alles nichts angeht.

Frau Kalischek, die von sich behauptet, sie habe keine Ahnung, wenn sie auf dem CDU Parteitag als designierte Bildungsministerin sagt – ich zitiere:

„Da ich in dem Bereich wenig Kenntnisse von innen habe, kann ich vielleicht die richtigen Fragen stellen… bis ich ein gutes Gefühl habe, wie der Hase da so läuft.“ (EdZ)

Dann weiß ich, dass es nicht die Schülerinnen und Schüler sind, die nach Hause gehören.

 

Es sind nämlich genau drei Dinge, die die Kinder und Jugendlichen brauchen:

1. Präsenzunterricht,

2. Präsenzunterricht und

3. Präsenzunterricht

 

Fehlender Kontakt der Schülerinnen und Schüler mit den Lehrkräften ist fehlende Bildung.

Deshalb brauchen wir einen ernstzunehmenden und funktionierenden Plan. Das kann nicht der Vorschlag sein, die Klassen zu halbieren, weil wir weder die doppelte Anzahl von Räumen noch die doppelte Anzahl von Lehrkräften herbeizaubern können. Ein Abstand von 1,5 Metern im Bus kann es auch nicht sein, weil wir auch hier nicht die doppelte Anzahl von Bussen und ihren Fahrern haben. So etwas kann sich nur jemand ausdenken, der nicht genug Fragen gestellt hat und noch immer nicht weiß, wo da der Hase so langläuft.

 

Wir können in Mecklenburg-Vorpommern auch nicht mit zeitversetztem Unterricht beginnen – weil das nur – wenn überhaupt – in Schwerin und Rostock möglich wäre. Aber im gesamten ländlichen Raum ist dies nicht realisierbar.

Wir brauchen bei den Schülerinnen und Schülern wesentlich mehr Testungen, statt alle sofort für zehn oder 14 Tage in Quarantäne zu schicken. Wir brauchen bei allen Lehrkräften regelmäßige Tests, statt sie ins Homeschooling zu verbannen.

 

 

Wir wissen, dass die Infektionen gerade durch Erwachsene und Jugendliche erfolgen.

Da kann sich gar nicht mehr die Frage stellen, ob wir sie testen - da muss man sie testen.

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Schwachen und Schwächsten sind die absoluten Verlierer dieser Krise. Dazu gehören auch die Älteren, Kranken und Pflegebedürftigen. Wenn man nicht mehr in seinem häuslichen Umfeld leben kann, ist das schon Entbehrung und Einschränkung genug.

Weg aus der Wohnung – hinein in ein Krankenhaus oder Heim – das ist einer der größten Einschnitte im Leben und wir alle wissen aus der eigenen Familie, dass jeder - ob direkt Betroffener oder indirekt Betroffener - darunter in den meisten Fällen sehr zu leiden hat.

Wenn nun aber noch hinzukommt, dass die Spielnachmittage, die Spaziergänge oder der Besuch wegfallen, da kann man sich halbwegs die Situation vorstellen, in der die Kranken oder Älteren leben. Der Begriff Heimweh bekommt eine ganz andere Bedeutung.

 

Wenn ältere Menschen sagen: Lieber an Corona als Einsamkeit sterben“ – dann wissen wir, dass wir es unter allen Umständen vermeiden müssen, dass Tagespflege-Einrichtungen oder Alten- und Pflegeheime wieder abgeschottet werden. Denn Einsamkeit ist das, was krank und verletzlich macht. Mit der Einsamkeit ist man alleine, es gibt niemanden, der einen da rausholt – weil ja genau das verboten ist – denjenigen zu treffen, der aus der Einsamkeit eine Zweisamkeit oder eine Familie macht. Und darum muss alles getan werden, nicht nur Corona zu bezwingen, sondern eben auch das ungewollte Alleinsein.

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

fehlende soziale Kontakte spiegeln sich auch in einer Kunst- und Kulturlandschaft wieder, die derzeit brachliegt. Wir müssen damit aufhören zu glauben, Kunst, Theater, Museen, Galerien und Konzerte sind etwas Notgedrungenes, etwas Zusätzliches. Nein, sie gehören zum Alltag.

Eine Reduzierung des Lebens auf Arbeit, Kirche und Wirtschaft darf nicht alles sein – Kunst und Kultur sind kein Halligalli. Es ist kein Zusatzkonzert, das man als erstes streichen kann.

Kunst und Kultur sind auch Bildung, ist Kommunikation, ist Anregung und Austausch, ist Ausgleich und Kreativität. Kunst und Kultur brauchen wir zum Leben.

Hier müssen – sobald es zu vertreten ist – Öffnungen her. Theater und Museen haben hervorragende Hygienepläne – wenn diese umgesetzt werden, ist hier alles sicher und mit Abstand weniger gefährlich als an einem Samstagnachmittag in einem Möbelhaus.

 

Warum wurde denn das Theater-Streich-Konzept der Landesregierung in unserem Bundesland richtiger Weise zurückgenommen? Warum sind Kunst und Kultur nach jahrelangem Hickhack nicht kaputtgespart worden? Weil die Regierung – zwar spät, aber noch nicht zu spät - erkannt hat, welche bedeutende Rolle unsere Theater und Orchester spielen. Wenn sie weiterhin so behandelt werden, als wären sie überflüssig und leicht zu entbehren, dann wird unser Land ein gewaltiges Stück ärmer, stiller und einsamer.

 

Bevor wir darüber reden, ob 5000 oder 7500 Zuschauer wieder beim Fußball zugelassen werden müssen wir darüber entscheiden, ob 50 oder 75 Zuschauer ins Theater oder zum Konzert gehen können.

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

wenn wir so schnell wie möglich unser gewohntes Leben wieder zurückhaben wollen, dann dürfen wir keine Experimente wagen oder zulassen. Wer zu spät regelt, wer zögert und hadert, wer jetzt nicht entscheidet, wird künftig der Lage nicht mehr Herr. Dann waren alle Restriktionen und Einschränkungen seit März umsonst. Wer auf den letzten Metern vor dem Impfstoff mit dem Feuer spielt, setzt alles Erreichte aufs Spiel.

Noch sind wir auf dem richtigen Weg, aber noch längst nicht am Ziel.

 

Und darum dürfen nach Auffassung meiner Fraktion auch zum Weihnachtsfest keine rauschenden Partys stattfinden, sondern sollten wir uns auf Treffen der Kernfamilie oder eben von zehn Personen beschränken. Deshalb müssen auch offizielle Silvesterfeiern und Feuerwerke unbedingt vermieden werden. Was ist eine Silvesternacht gegen ein neues Jahr, in dem wir unser gewohntes und liebgewonnenes Leben zurückbekommen können?

 

Auf die Silvesternacht können wir verzichten, auf ein gesundes neues Jahr nicht.