Jacqueline Bernhardt: Schutz vor häuslicher und sexualisierter Gewalt - Istanbul-Konvention konsequent umsetzen, Drucksache 7/5597 Einbringung

Sehr geehrte Abgeordnete,

sehr geehrte Damen und Herren,

im Jahr 2011 hat Deutschland das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, die sogenannte Istanbul-Konvention unterzeichnet. 2017 wurde diese schließlich ratifiziert und zum 1. Februar 2018 in Deutschland rechtskräftig. Dies war ein wichtiger Schritt, verbunden mit der Zuversicht, eine deutliche Verbesserung für Betroffene von häuslicher und sexualisierter Gewalt zu erreichen und darauf aufzubauen, was an Strukturen bereits vorhanden ist.

Die Artikel der Konvention beinhalten Maßnahmen zur Prävention, Intervention und Unterstützung bei geschlechtsspezifischer Gewalt. Darunter Grundrechte, Gleichstellung und Nichtdiskriminierung, Bewusstseinsbildung, Vorbeugende Interventions- und Behandlungsprogramme, Beteiligung des privaten Sektors und der Medien, Schutz und Unterstützung für Zeuginnen und Zeugen, Sorgfaltspflicht der Staaten, geschlechtersensible, umfassende und koordinierte politische Maßnahmen und finanzielle Mittel.

So ist eines der übergeordneten Ziele der Konvention, eine Infrastruktur, die flächendeckend, niedrigschwellig, barrierefrei und umfänglich Beratung, Unterstützung und Schutz für alle Betroffenen bietet.

Auf Grundlage der 81 Artikel lassen sich Handlungserfordernisse auf allen Ebenen ableiten – zum Schutz von Betroffenen und der Beseitigung struktureller Ursachen von Gewalt.

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

seit nunmehr drei Jahren ist die Konvention in Deutschland so auch in Mecklenburg-Vorpommern rechtskräftig. Zum dritten Mal reicht die Fraktion DIE LINKE. in dieser Legislaturperiode einen Antrag zur Umsetzung der Konvention ein. Denn, in Mecklenburg-Vorpommern scheint die Umsetzung noch nicht im erforderlichen Maße vorangeschritten.

 

In unserem Bundesland gibt es seit Jahren ein gut ausgebautes Netz an Hilfe- und Unterstützungseinrichtungen, insbesondere für gewaltbetroffene Frauen und Mädchen. Die Mitarbeitenden tragen erheblich dazu bei, das System aufrechtzuerhalten und doch hapert es nach wie vor an der Ausfinanzierung, Barrierefreiheit und der zielgruppenorientierten Ausrichtung.

Die Defizite zeien die Praxis auf. So muss vor Ort immer wieder improvisiert werden. Wir hören von Vorgängen wie dem, dass eine Frauenhausmitarbeiterin zur Aufnahme einer von häuslicher Gewalt betroffenen Frau im Rollstuhl erst Kontakte in ihrem Umfeld aktivieren musste, um den Einlass ins Schutzhaus über Treppen und die Mobilität im Haus realisieren zu können und der Frau in Not überhaupt helfen zu können.

So etwas darf nicht vorkommen, meine Damen und Herren – nicht im 21. Jahrhundert und nicht in einer Gesellschaft, in der die UN-Behindertenrechtskonvention und das Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt rechtsgültig sind.

DIE LINKE hat vielfach Initiativen eingereicht. Unsere Forderungen nach zielgruppenspezifischen Angeboten und einem niedrigschwelligen Zugang zu Beratungseinrichtungen und Schutzunterkünften für Menschen mit Behinderungen, eine bessere Ausfinanzierung, mehr Personalstellen in den Beratungsstellen wurden von SPD und CDU regelmäßig vom Tisch gewischt.

 

Und Sie kennen uns, sehr geehrte Damen und Herren der Koalitionsfraktionen, wir hören nicht auf, die Themen zu setzen. Solange, bis sich etwas bewegt in diesem Land.

Es reicht eben nicht, wenn eines von 9 Frauenhäusern barrierefrei ist.

Es ist nicht hinzunehmen, dass die Beschäftigten in Beratungsstellen und Frauenhäusern noch immer nicht den angemessenen Lohn bekommen, den sie verdienen und mit der Not, freiwerdende Stellen aus eben diesen Gründen monatelang nicht neu besetzen zu können, allein gelassen werden.

Es ist nach Jahrzehnten des bekannten Bedarfs und der immer wieder geäußerten Forderung, dass pädagogisch-psychologische Fachkräfte in Frauenhäusern für die qualifizierte Betreuung der mitbetroffenen Kinder eingesetzt werden müssen, so gut wie nichts passiert ist. Das ist ein Armutszeugnis für das Kinderland M-V!

(meiner Kenntnis nach hat nur das Rostocker Frauenhaus eine entsprechende Kinderbetreuung)

Das alles ist nicht zufriedenstellend und deshalb stellen wir heute unseren Antrag. Wir wollen ein Maßnahmenprogramm, das die koordinierte und zielgerichtete Umsetzung der Istanbul-Konvention mit Wirkung auf Landesebene und auf kommunaler Ebene wegweisend gestaltet.

Das Maßnahmenprogramm soll zusammen mit den Akteurinnen und Akteuren im Bereich Gewaltschutz, Prävention und dem Hilfesystem bis Ende März 2021 vorgelegt werden, damit wir im April im Landtag darüber reden können und es dann, noch im 2. Quartal an die zielgerichtete Umsetzung gehen kann. Dies noch in dieser Legislaturperiode und noch vor den Wahlen zum neuen Landtag.

Auch müssen die Maßnahmen zur Umsetzung der Istanbul-Konvention der Folgejahre in den Beratungen zum Doppelhaushalt, die im Herbst 2021 stattfinden, berücksichtigt werden. Sie müssen dann also bereits feststehen.

Mit einer Resolution zur Istanbul-Konvention wandten sich im September 2020 die 16 Landesfrauenräte an die Öffentlichkeit und damit auch an die Politikerinnen und Politiker in den Kommunen, in den Ländern und im Bund. Sie verweisen darin auf die bereits mit Inkrafttreten der Konvention geforderte, effektive und koordinierte Vorgehensweise zur Prävention und Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt und mahnen an, dass es diese bis heute nicht gibt.

Vielerorts sei die Istanbul-Konvention auch nach Jahren noch unbekannt. Lediglich im sozialen Sektor sei sie teilweise ins Bewusstsein vorgedrungen. In Ressorts, wie der Justiz, der Polizei sowie Bildungsbehörden – so die Resolution – wird sie jedoch noch nicht als Aufgabe und Auftrag anerkannt.

Vielmehr wird abgewartet, ignoriert, weiter verwiesen. So zum Beispiel auf die GREVIO-Kommission – der unabhängigen Expertengruppe des Europarats für die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt. Berichte werden abgewartet, aber keine politische Strategie vor Ort in Gang gesetzt.

Kurzum: Auch die Landesfrauenräte attestieren erneut nur mangelhafte Fortschritte bei der Umsetzung der Istanbul-Konvention. Angesichts dessen bekräftigte die Konferenz der Landesfrauenräte im September 2020 die Forderung nach einer konsequenten Umsetzung der Istanbul-Konvention im Bund, in den Ländern und in den Kommunen.

So fordert sie die Einrichtung unabhängiger Monitoringstellen im Bund und den Ländern, Koordinierungsstellen in den Ländern und Kommunen und den effektiven Schutz von gewaltbetroffenen Frauen durch die Strafverfolgungs- und Justizbehörden.

Das bedeutet, dass Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung und eine Form der Diskriminierung nach Artikel 3 des Grundgesetzes auch in der deutschen Rechtsprechung endlich und konsequent als solche gehandhabt werden muss.

Das Beratungs- und Hilfenetz Mecklenburg-Vorpommern, bestehend aus mehr als 30 Einrichtungen hat sich im Zuge des Inkrafttretens der Konvention daran gemacht, eine Auswertung des Vorhandenen und einen Maßnahmenkatalog zur Umsetzung der Istanbul-Konvention zu erarbeiten. Der Maßnahmenkatalog wurde im August 2019 veröffentlicht. Ziel der umfassenden Aufstellung ist, die Landesregierung zum Handeln zu bewegen.

In dem Katalog sind ganz klare Forderungen formuliert, die da wären:

Schaffung angemessener personeller Ressourcen,

leistungsgerechte Vergütung und Schaffung attraktiver Arbeitsplätze zur Gewinnung und Bindung professioneller Arbeitskräfte,

flächendeckende qualifizierte Täter*innenarbeit,

niedrigschwelliger Zugang,

Kostenübernahme von Sprachmittlungen,

barrierefreie Angebote des Hilfesystems,

Männer, Jungen und Menschen ohne Geschlechtszugehörigkeit sind ebenfalls als Betroffene zu berücksichtigen,

Sensibilisierung der Gesellschaft,

Finanzierung von Kinder- und Jugendberater*innen in den Frauenhäusern,

interdisziplinäre Zusammenarbeit stärken, denn Umsetzung ist Querschnittsaufgabe.

Die qualifizierten und umfassenden Empfehlungen der Expertinnen und Experten sind bei der Erstellung des Maßnahmenprogramms zu nutzen.

Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag.