Jacqueline Bernhardt: Integrative Kindertagesstätten erhalten

Sehr geehrte Frau Präsidentin,

meine Damen und Herren,

Integrative Kindertagesstätten nehmen in Mecklenburg-Vorpommern eine wichtige Rolle ein. In ihnen kommen behinderte Kinder und nichtbehinderte Kinder zusammen. Sie lernen einander kennen, sie gehen miteinander um, sie spielen miteinander, sie lernen miteinander und sie lernen voneinander.

Das alles geschieht ohne Vorurteile und ohne Ausgrenzung. Die Kinder lernen Toleranz, Rücksichtnahme und Offenheit. Die Integrativen Kitas haben sich in Mecklenburg-Vorpommern auf dem Weg zur Inklusion in den Kindertagesstätten bewährt.

Mittlerweile erreichen uns jedoch landesweit Hilferufe von Erzieherinnen und Erziehern und von Trägern, die den Bestand von integrativen Kindertagesstätten im Land gefährdet sehen.

Was ist der Grund dafür?

Gemäß § 9 Absatz 2 KiföG M-V sollen Kinder mit Behinderung oder solche die von Behinderungen bedroht sind, grundsätzlich gemeinsam mit Kindern ohne Behinderung inklusiv gefördert werden. Die Förderung soll vorrangig in Kindertageseinrichtungen erfolgen. Das ist ein sehr nobler Ansatz und der ist auch richtig.

In § 9 Absatz 4 KiföG M-V steht dann geschrieben, dass in integrativen Gruppen in Kindertageseinrichtungen und in integrativen Kitas, in Abhängigkeit von der Behinderung der Kinder, zusätzlich zu den pädagogischen Fachkräften auch staatlich anerkannte Erzieherinnen und Erzieher mit einer sonderpädagogischen Zusatzausbildung oder staatlich anerkannte Heilerziehungspflegerin oder Heilerziehungspfleger einzusetzen sind. Auch das ist grundsätzlich erstmal vernünftig. Kinder mit Behinderung haben besondere Förderbedarfe und erfordern deshalb auch besondere Fachkräfte.

Damit haben sich die positiven Regelungen im KiföG in Bezug auf integrative Kindertageseinrichtungen aber auch erschöpft.

 

Folgendes Problem ist zu Tage getreten: durch das Bundesteilhabegesetz wurde die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen aus dem SGB XII herausgelöst und in das SGB IX überführt. Damit waren dann natürlich auch die Regelungen des Landesrahmenvertrags nach § 79 SGB XII passé, die in der Anlage A 9 regelte, dass die Förderung in der I-Kita ein Ganztagsangebot zu sein hat, das mindestens vier Stunden betragen müsse. Sie regelt die Gruppengröße im Kindergartenbereich, wo bei 15 Kindern in der Betreuung vier von Behinderung bedroht oder mit einer Behinderung sein könnten und dass es dann eine zusätzliche personelle Verstärkung durch einen HeilerzieherIn gäbe.

 

Mit der Überführung der Eingliederungshilfe vom SGB XII in das SGB IX war dieser Landesrahmenvertrag hinfällig. An die Stelle der Regelung dieses Landesrahmenvertrags trat nun eine Landesverordnung nach § 131 Absatz 1 SGB IX. Diese Verordnung ist wortgleich mit dem bereits formulierten Landesrahmenvertrag und wird durch diesen abgelöst, sobald alle Vertragsparteien den Landesrahmenvertrag unterzeichnet haben.

Dieser Landesrahmenvertrag bzw. die Verordnung sind jedoch in vielen Bereichen nicht klar ausformuliert.

Es gibt keinen Personalschlüssel für integrative Gruppen, es gibt keine gesonderte Fachkraft-Kind-Relation für integrative Gruppen, der Umfang der Förderung ist nicht bestimmt. Fakt ist, dass durch die neuen Regelungen im Rahmen der Eingliederungshilfe, also vom Bund, nur noch Fachleistungsstunden für die Förderung von Kindern mit einer Behinderung oder einer drohenden Behinderung zu gewährleisten ist. Nach dem Bundesrecht gibt es keine Integrativen Gruppen mehr mit einer Ganztagsbetreuung.

Dieser Aspekt hat in der Praxis zu erheblichen Diskussionen geführt und wird nach Ende der Übergangsphase zu einem richtigen Problem werden.

 

Natürlich treffen der Rahmenvertrag bzw. die Verordnung in den Paragrafen 6 und 15 Aussagen zur Vergütung. Erfolgen soll sie im Bereich der integrativen Kindertagesförderung über eine Kalkulation als sogenannte Fachleistungsstunden.

Das ist ein recht komplizierter Schlüssel, der in Anlage 3 des Rahmenvertrages ausführlich dargestellt ist. Da werden dann Assistenzleistungen oder Förderleistungen entsprechend aufgeschlüsselt und berechnet.

Nur diese Fachleistungsstunden, die natürlich nur einen Bruchteil der Tätigkeit einer Fachkraft ausmachen, sollen nach dem Willen des Rahmenvertrags vergütet werden.

 

Die bürokratischen Ausmaße der Geschichte lasse ich an dieser Stelle lieber außen vor.

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

 

ich fasse das mal kurz zusammen. Es ist so, dass das KiföG in § 9 Absatz 4 sagt, dass für integrative Gruppen eine pädagogische Fachkraft mit Sonderausbildung vorgehalten werden muss.

Der Landesrahmenvertrag bzw. die Verordnung nach § 131 SGB IX bestimmen jedoch, dass Eingliederungshilfeleistungen in diesem Bereich als Fachleistungsstunden kalkuliert werden sollen. Die Vergütung über Fachleistungsstunden reicht aber hinten und vorne nicht aus, um die durch das KiföG geforderten Fachkräfte zu finanzieren.

Das Land sagt sich: Müssen sich halt die Landkreise drum kümmern. Denn diese sind als Träger der Eingliederungshilfe für diese Leistungen zuständig. Sie führen die Eingliederungshilfe als Aufgabe im übertragenen Wirkungskreis aus.

 

Die wissen aber auch nicht recht was sie machen sollen, zumal sie finanziell ohnehin chronisch klamm sind. Vom Bund gibt's schließlich nur Geld für die Fachleistungsstunden. Im Zweifel sagen die sich, müssen sich die Leistungserbringer, also die Träger der Kindertageseinrichtung, was einfallen lassen. Schließlich ist es ja deren Aufgabe, sich personell angemessen zu organisieren.

Das Land macht sich hier einen schlanken Fuß. Es macht im Kindertagesförderungsgesetz Vorgaben - die Vorhaltung von Integrativen Gruppen und was alles vorgehalten werden muss, und lässt die Landkreise bzw. kreisfreien Städte und die Träger der Einrichtung auf den Kosten sitzen. Das führt konkret schon jetzt vor Ort dazu, dass in den 272 Integrativen Kitas in MV die integrativen Gruppen aufgelöst werden, weil keiner die Finanzierung tragen will.

Das geht ganz klar zu Lasten der Kinder mit Behinderung oder die, die von Behinderung bedroht sind. Lassen wir den Prozess so laufen, haben wir am 1.1.2022 kaum noch integrative Gruppen.

 

Meine Damen und Herren,

 

so kann man nicht miteinander umgehen. Das Land hat hier eine Verantwortung und die muss es endlich wahrnehmen.

 

§ 9 Absatz 2 KiföG M-V suggeriert, dass in jeder Kindertageseinrichtung im Land eine inklusive Förderung von Kindern mit Behinderung erfolgen kann. Eltern eines behinderten oder von Behinderung bedrohten Kindes glauben deshalb, ihr Kind in die nahegelegene Wunsch-Kita bringen zu können. Es zeigt sich aber, dass das mit der aktuellen Finanzierung der Fachkräfte in diesem Bereich nicht möglich ist.

 

Inklusion ist wichtig und sie muss vorangebracht werden. Integrative Kindertagesstätten und integrative Gruppen sind auf dem Weg dahin wichtige Säulen. Zu ihrem Erhalt ist es wichtig, endlich das Verhältnis von § 9 Absatz 2 KiföG M-V und den Regelungen des SGB IX zu überprüfen und Lösungen vorzuschlagen.

Ein Lösungsvorschlag aus unserer Sicht wäre, eine Klarstellung, dass, wenn Kinder keine Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB VIII oder SGB IX erhalten, die Finanzierung der integrativen Gruppen auf der Grundlage des KiföG zu erfolgen hat.

 

Ich bitte Sie zu handeln und die Kinder, die es aufgrund ihrer drohenden oder Behinderung eh schon nicht einfach haben, zu unterstützen - unterstützen, indem die Integrativen Kitas weiter vorgehalten werden.

 

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.