Dr. Hikmat Al-Sabty: Zusammenleben mit Flüchtenden gestalten -Festlegungen der „Flüchtlingsgipfel“ schnell, pragmatisch und nachhaltig umsetzen!

Sehr geehrte Präsidentin,
sehr geehrte Abgeordnete,                                                                                     

 

die Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen beschäftigt uns nun schon eine ganze Zeit. Es liegen viele Erkenntnisse vor und einige Abläufe haben sich eingespielt. Was jedoch fehlt – und dies wird aus den Kommunen immer wieder bemängelt – ist ein einheitliches Vorgehen und eine verlässliche Struktur und Finanzierung in Mecklenburg-Vorpommern. 

Der Städte- und Gemeindetag hat die Situation im November letzten Jahres auf den Punkt gebracht. Mit seinem „Drei-Wellen-Papier“ hat er Arbeitshinweise und Handlungsnotwendigkeiten aufgezeigt. Das Papier beschreibt exakt, was uns in den nächsten Jahren erwartet und was zu tun ist – von der Aufnahme der Flüchtlinge über die Integration in unsere Gesellschaft bis hin zum Familiennachzug. 

Mit dem vorliegenden Antrag unterstützen wir die Positionen des Städte-und Gemeindetages e.V. Die Unterbringung und Integration der Flüchtlinge ist eine besondere Herausforderung für das gesamte Land. Gleichzeitig ist es eine Chance, den Auswirkungen der demografischen Entwicklung aktiv zu begegnen.

Tatsächlich sind die meisten der zu uns kommenden Flüchtlinge mit einem Anteil von über 80 Prozent jünger als 35 Jahre. Sie sind damit nicht nur im erwerbsfähigen Alter, sondern werden dies auch noch einige Jahrzehnte sein. Zudem sind sie motiviert, eine neue Ausbildung bzw. Weiterqualifikation zu absolvieren. Und sie lernen schnell, das zeigt sich in der Praxis immer wieder. 

Diese jungen Menschen kommen genau in die sich immer weiter auftuende Altersschere in der deutschen Mehrheitsbevölkerung und heben das Dilemma perspektivisch auf. 

Sie sind damit eine Antwort auf das demografische Problem. Diese Riesenchance müssen wir erkennen. Und natürlich müssen wir die Menschen zügig in die Gesellschaft integrieren, um ihnen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. 

Der Städte- und Gemeindetag gibt Handlungsanleitungen für alle drei Wellen der Zuwanderung: 

Die erste Welle sind die Flüchtlinge im Asylverfahren.

Die zweite Welle sind die Flüchtlinge, die anerkannt sind und integriert werden sollen. Der benötigte Zeitraum für die Integration wird auf etwa 5 Jahre geschätzt.

Die dritte Welle ist der Familiennachzug. Allerdings ist der Familiennachzug mit dem Ende Februar beschlossenen Asylpaket II zunächst für zwei Jahre ausgesetzt. Das bedeutet in der Folge, dass sich die nahen Angehörigen, vor allem auch Frauen, Kinder und Ältere weiter auf die lebensgefährliche Route über das Mittelmeer begeben werden. Und auf diesem Weg sind bekanntlich allein in den letzten sechs Monaten mehr als 350 Kinder bitterlich ums Leben gekommen. 

Für die kommenden Jahre geht es darum, dass wir uns auf die zweite und dann auf die dritte beschriebene Welle konzentrieren. 

Die Herausforderungen sind, dass für die nach ihrer Anerkennung obdachlos werdenden Flüchtlinge ausreichende und eingerichtete Wohnungen vorgehalten werden. Bestehender Wohnraum muss erschlossen werden und es müssen auch neue Wohnungen gebaut werden. 

Die Kapazitäten in den sozialen Einrichtungen, in Kindertagesstätten und Schulen müssen erhöht werden. Die Ausbildung von Erziehern, Sozialpädagogen und Lehrern muss deutlich verstärkt werden. Es müssen dauerhafte Betreuungssysteme geschaffen werden und zwar an allen betroffenen Standorten, das Ehrenamt muss gestärkt und Ehrenamtliche stärker unterstützt werden. 

Innovative Informationsangebote für Flüchtlinge müssen auch unter Nutzung der sogenannten neuen Medien geschaffen werden. 

Integrationskurse müssen auch für Menschen angeboten werden, die nicht dem Arbeitsmarkt zugänglich sind, Deutschkurse müssen die unterschiedlichen Sprachniveaus abdecken: So benötigen wir mehr Deutschkurse für Akademikerinnen und Akademiker bis zum Niveau C2, aber auch Alphabetisierungskurse für Menschen, die nicht lesen und schreiben können, auch Mutter-Kind-Sprachkurse und berufsbegleitende Deutschkurse müssen stärker ins Angebotsportfolio. 

All diese Einzelmaßnahmen müssen unverzüglich in ein einheitliches und verbindliches Integrationskonzept für Mecklenburg-Vorpommern zusammengefasst und dann umgesetzt werden. 

Der Städte- und Gemeindetag geht davon aus, dass 50 bis 70 Prozent der Flüchtlinge, die zu uns kommen, eine dauerhafte Bleibeperspektive haben. Weiter geht er davon aus, dass 40% von den Flüchtlingen in Mecklenburg-Vorpommern, die einen Aufenthaltsstatus erhalten, auch hier in M-V bleiben werden. Es sind also Menschen, die unser Leben und unsere Gesellschaft die kommenden Jahrzehnte mit gestalten werden. 

Nun zum letzten Punkt in unserem Antrag: 

Die Gesundheitskarte wurde in den vergangenen Tagen ja wieder heiß diskutiert. Es wurde das für mich wirklich verwunderliche Argument gebracht, dass die Karte jetzt gar nicht mehr nötig sei oder wenig Sinn mache, da der Zeitraum der Inanspruchnahme nun durch ein verkürztes Asylverfahren zu kurz sei, um einen Nutzen davon zu haben. Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist für mich ein vorgeschobenes Argument. Und es ist nicht haltbar. 

Die Diskussion um die Einführung einer Gesundheitskarte für Menschen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen, hat bereits lange vor dem verstärkten Zuzug der Flüchtlinge aus Syrien begonnen. 

Die Menschen, die aus dem Kriegsgebiet kommen, haben Aussicht auf ein Bleiberecht und ein schnelles Asylverfahren. Doch es gibt Asylbewerberinnen und –bewerber aus zahlreichen anderen Herkunftskontexten, die eben nicht innerhalb von 48 Stunden eine Anerkennung bekommen. 

Gerade deshalb ist die Karte so wichtig, damit die Menschen, die sich über Jahre im Leistungsbezug des Asylbewerberleistungsgesetzes befinden, die lange Verfahren haben und sich über Jahre in einer Duldung befinden, einen niedrigschwelligen Zugang zu Gesundheitsleistungen haben . PUNKT. Davon rücken wir nicht ab!  

Das „klein Beigeben“ der Sozialministerin und Abrücken von der Gesundheitskarte auf Grund eines Scheinarguments hat mich äußerst verwundert. Wer hat sie klein gekriegt Frau Ministerin – der Landkreistag? Selbst Ihr Koalitionspartner CDU war überrascht über diese Neuigkeiten im Sozialausschuss in der vergangenen Woche.

Es kam doch sehr überraschend. 

Unlängst plädierten auch die Abgeordneten Julian Barlen und Jörg Heydorn sehr vehement für die Einführung einer Gesundheitskarte für Flüchtlinge. Die Verlautbarungen der SPD-Ministerin von der Gesundheitskarte wieder abrücken zu wollen, muss Sie doch kalt erwischt haben, Herr Barlen und Herr Heydorn. 

Wir sollten uns bei der aktuellen Debatte die Anhörung zu diesem Thema im Sozialausschuss ins Gedächtnis rufen. Damals, im April 2014, sprachen sich alle Expertinnen und Experten FÜR die Einführung einer Krankenversicherungskarte für Asylsuchende und Flüchtlinge aus. Darunter unter anderem die Vertreter des Diakonischen Werks, des Flüchtlingsrates, der Kassenärztlichen Vereinigung, der Krankenhausgesellschaft und der Migrantenrates der Hansestadt Rostock. 

Die Linksfraktion unterstützt, wie gesagt, die Einführung einer Gesundheitskarte für Flüchtlinge und Asylbewerberinnen und Asylbewerber. Wir setzen uns zudem weiterhin für eine gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen an den Leistungen des Gesundheitswesens ein. 

Ich mache Ihnen an der Stelle auch gleich einen Lösungsvorschlag, der Ihre jüngsten Bedenken auf ganz pragmatische Weise ausräumen kann: Wir leben im Zeitalter der modernen Technik. Die ELEKTRONISCHE Gesundheitskarte ist, wie es der Name schon verspricht programmierbar  und kann bei einer Änderung im Status eines Asylbewerbers bzw. Flüchtlings angepasst werden. Selbst wenn sich der Status innerhalb kurzer Zeit für eine Person ändert, kann dieselbe Karte mit einer Anpassung im System weiter genutzt werden. 

Ich denke, dass Ihre wahren Bedenken in der Umsetzbarkeit bezüglich der Kosten liegen. Aber auch da gibt es Lösungen. Wir fordern mit unserem Antrag, dass die Rahmenvereinbarung zur Übernahme der Krankenbehandlung für Nichtversicherungspflichtige so überarbeitet werden soll, dass den Landkreisen und kreisfreien Städten für die medizinische Versorgung im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes weniger Ausgaben entstehen, als vor dem Inkrafttreten der Rahmenvereinbarung. Natürlich ist hier auch das Land in der Pflicht für eine Finanzierung zu sorgen und Mittel bereitzustellen. 

Ich erwarte, dass unsere Aussprache heute zu einer Gesundheitskarte führt - und natürlich zu einem Konzept für die Integration der Flüchtlinge. 

Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag.