30 Jahre Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern – bewährt und doch nicht selbstverständlich

Jeannine Rösler

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
meine Damen und Herren,
da wir heute die Präsidentin des Landesverfassungsgerichts, Frau Monika Köster-Flachsmeyer, hier im hohen Hause zu Gast haben, möchte ich die Gelegenheit nutzen, und einen ganz herzlichen Dank aussprechen. Allen Mitgliedern des Landesverfassungsgerichts gebührt großer Dank für ihre verantwortungsvolle Arbeit, die sie im Ehrenamt leisten. Sie wachen unter anderem darüber, dass Gesetze und Vorschriften, die auf den Weg gebracht werden, nicht mit der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern kollidieren.
2023 ist für unser Land ein ganz besonderes Jahr.
In diesem Jahr wird die Landesverfassung 30 Jahre alt.
Sie wurde in einem beeindruckenden demokratischen Prozess in den Jahren 1991 bis 1993 von einer Verfassungskommission ausgearbeitet. Der Entwurf wurde dem ersten Landtag des Landes vorgelegt und von diesem ohne Veränderung mit einer Zweidrittelmehrheit bestätigt.
Im Mai 1993 trat die Verfassung vorläufig in Kraft. Ein Jahr später, im Juni 1994, wurde die Verfassung in einem Volksentscheid durch die Mehrheit der Abstimmenden gebilligt.
Mit Zusammentritt des neu gewählten Landtages am 15. November 1994 ist die Verfassung von Mecklenburg-Vorpommern schließlich endgültig in Kraft getreten.
Unser demokratisches Gemeinwesen ruht fest auf dem Boden unserer Verfassung – einer Verfassung der Einwohnerinnen und Einwohner des Landes Mecklenburg-Vorpommern – ungeachtet ihrer Herkunft, ihres Glaubens, ihres Geschlechts und ihrer sexuellen Orientierung.

Meine Damen und Herren,
in zwei Großen Anfragen hat meine Fraktion in der Vergangenheit nach dem Verfassungsanspruch und der Verfassungswirklichkeit gefragt. Und wir haben tatsächlich weiter gehende Ansprüche abgeleitet – etwa den Anspruch einer chancengleichen Entwicklung der beiden Landesteile Mecklenburg und Vorpommern sowie den Anspruch gleichwertiger Lebensverhältnisse.
Dazu stehen wir auch heute noch.
Es ist aber gut und richtig, dass es für Verfassungsänderungen einer großen Mehrheit der Abgeordneten im Landtag bedarf. Auch wenn meine Fraktion in den vergangenen Legislaturperioden verschiedene Änderungsbedarfe gesehen hat, stellen wir fest: Die Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern hat sich bewährt. Sie bildet das Fundament, den Rahmen, innerhalb dessen sich Organisation und Ausübung staatlicher Gewalt zu entfalten hat. Sie ist die Werteordnung, sie ist die Grundordnung für Mecklenburg-Vorpommern. Und diese Aufgabe hat sie aus unserer Sicht in der Vergangenheit gut erfüllt.
Das gilt ohne Wenn und Aber.
Die Welt bleibt jedoch nicht stehen, sie dreht sich weiter in Europa, in Deutschland und auch in Mecklenburg-Vorpommern. Und es versteht sich von selbst, dass auch die Verfassung diesem Wandel unterworfen ist. Sie ist nicht in Stein gemeißelt und muss sich der Lebensrealität der Menschen anpassen. Unsere Demokratie entwickelt sich und mit ihr unsere Verfassung.
Das muss jedoch in einem behutsamen Prozess erfolgen.
Seit 1994 wurde die Landesverfassung insgesamt fünf Mal geändert.
So haben wir im Jahr 2000 das Konnexitätsprinzip aufgenommen, 2006 folgten verschiedene Schutzziele. Besonders möchte ich an dieser Stelle den Artikel 14 der Landesverfassung hervorheben, der den Schutz der Kinder und Jugendlichen beinhaltet – etwas, was wir uns auch für das Grundgesetz wünschen. Ebenso wurde die Dauer der Legislaturperioden in diesen Verfassungsänderungen beschlossen. Hervorheben möchte ich die Ergänzung im Jahr 2007.
Seither verpflichtet uns die Landesverfassung im Artikel 18a dazu, Bedingungen zu schaffen, unter denen gesellschaftliche Konflikte gewaltfrei gelöst werden können, und dass alles staatliche Handeln dem inneren, wie äußeren Frieden dienen muss. Insbesondere diskriminierendes Verhalten, das geeignet ist, das friedliche Zusammenleben zu stören, ist verfassungswidrig. Diese Änderung erfolgte im Ergebnis der Volksinitiative „Für ein weltoffenes, friedliches und tolerantes Mecklenburg-Vorpommern“.
2011 wurde dann die Schuldenbremse in die Landesverfassung aufgenommen – eine Änderung, die wir im Übrigen als einzige Fraktion entschieden abgelehnt haben. Die jüngste Verfassungsänderung gab es 2016, bei der eine weitere Absenkung des Quorums für Volksbegehren Inhalt war und der Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union samt Initiativrecht verankert wurde.

Meine Damen und Herren,
die politischen und rechtlichen Grundlagen des heutigen Mecklenburg-Vorpommerns spiegeln sich in dieser Landesverfassung wider. Und dennoch: Wir sollten die demokratischen Grundfesten, die in der Verfassung verankert sind, nicht als selbstverständlich hinnehmen.
Sie sind kein Naturgesetz, sondern das Ergebnis eines lebendigen demokratischen Prozesses.

Meine Damen und Herren,
vor 90 Jahren am 10. Mai 1933 brannten in deutschen Städten tausende Bücher, Bücher von geächteten jüdischen, sozialistischen und liberalen Autorinnen und Autoren. Und so ist uns auch der heutige Tag Erinnerung und Mahnung, die Demokratie zu schützen und zu stärken.
Immer häufiger entsteht der Eindruck, dass die Demokratie auf die Probe gestellt und von rechts unter Druck gesetzt werden soll – auch im Landtag herrscht am rechten Rand eine besorgniserregende Nähe zu ausgewiesenen Demokratiefeinden. Ich denke etwa an die „Junge Alternative“, die erst kürzlich vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ eingestuft wurde und die Vertreter hier im Parlament und anderen demokratischen Gremien zu sitzen hat. Das muss alle Demokratinnen und Demokraten beunruhigen und noch wachsamer werden lassen. Deswegen haben sich die Koalitionspartner auch darauf verständigt, die Landesverfassung qualitativ weiterzuentwickeln. In Ziffer 490 des Koalitionsvertrags heißt es: „Um dem Staatsziel der konsequenten Zurückdrängung rassistischer, antisemitischer und neo-nationalsozialistischer Bestrebungen Ausdruck zu verleihen, werden wir uns im Landtag für eine entsprechende Ergänzung der Landesverfassung einsetzen.“ Mit einer geeigneten Klausel in der Verfassung wollen wir der Zivilgesellschaft den Rücken stärken, ihr Engagement würdigen und noch mehr Bürgerinnen und Bürger ermutigen, sich für ein diskriminierungsfreies Mecklenburg-Vorpommern einzusetzen.

Meine Damen und Herren,
Wie es guter parlamentarischer Brauch seit nunmehr 30 Jahren ist, wollen wir dieses Ziel in einem gemeinsamen Prozess aller demokratischen Kräfte im Landtag debattieren und umsetzen. Insofern ist es bedauerlich, dass die Fraktionen von CDU, Bündnisgrünen und FDP mit diesen parlamentarischen Gepflogenheiten des Miteinanders brechen und auf dieser Landtagssitzung mit einem eigenen Antrag zur Verfassungsänderung aufwarten. Die Verfassung ist nicht nur die Grundordnung, sie ist eben auch der Grundkonsens aller demokratischen politischen Kräfte.
Mit Recht gibt es die hohe Hürde der Zweidrittelmehrheit für eine Änderung der Verfassung.
Weil die Verfassung für alle Demokratinnen und Demokraten ein hohes, ein sehr hohes Gut ist, sollten sich mit ihr und auch ihren Änderungen alle identifizieren können.
Deshalb sind wir optimistisch, dass wir doch noch einen gemeinsamen Weg einschlagen und beschreiten, um pünktlich zum 30. Jahrestag des Volksentscheids eine weiterentwickelte Landesverfassung verabschieden zu können.