30 Jahre Ermordung Michael Newrzellas – Achtung und Gedenken

Torsten Koplin

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich habe den Antrag der AfD durchgelesen und da viel mir zunächst auf,
dass von „angemessenem“ jährlichem Gedenken die Sprache ist. Es
wäre wünschenswert, wenn die AfD diese Formulierung vielleicht
etwas präzisieren könnte, damit man sich ein besseres Bild von den
Plänen der Partei diesbezüglich machen kann.
Nachdem dieser Punkt geklärt ist, viel mir noch eine andere
Formulierung im Antrag auf. Die AfD spricht von einer immer weniger
von gegenseitigem Respekt und Achtung geprägten Gesellschaft -
gegenüber Individuen und gegenüber staatlichen Institutionen. Wo ist
denn der Respekt und die Achtung gegenüber Minderheiten, wie
Menschen mit Migrationshintergrund, gegenüber Geflüchteten,
gegenüber politisch links eingestellten Menschen, gegenüber
Klimaaktivist*Innen, gegenüber LGBTQI und FLINTA in der AfD?
Denn auch Ausländer*Innen, Flüchtlinge, Sozialist*Innen,
Kommunist*Innen, Klimaaktivistis, LGBTQI und FLINTA sind
Individuen, denen man vielleicht Achtung und Respekt zollen sollte.
Und wo ist die Achtung und der Respekt der AfD gegenüber staatlichen
Institutionen, wie dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, den die AfD
finanziell ausbluten lassen möchte? Wo ist die Achtung und der Respekt
der AfD gegenüber ehemaligen Bundeskanzlerinnen, die man im
Bundestag vorhatte, zu „jagen“?
Wenn es um Achtung und Respekt gegenüber Individuen und
staatlichen Institutionen geht, sollte die AfD sich am besten dazu gar
nicht erst äußern, da sie selbst ganz offensichtlich keinerlei Respekt
gegenüber allen Menschen und Institutionen hat, die sie politisch
ablehnt.
Nun zum eigentlichen Thema. Ohne Frage, die Ereignisse vom GSG-9-
Einsatz am 27.6.1993 in Bad Kleinen waren tragisch. Sie waren tragisch
in Bezug auf den von Wolfgang Grams tödlich verletzten GSG-9
Polizisten Michael Newrzella, der damals nur seine Pflicht als
Staatsbeamter ausgeübt hatte und Wolfgang Grams festnehmen wollte.
Sie waren aber auch tragisch gegenüber Wolfgang Grams von der
dritten Generation der RAF, der den Schussverletzungen, die von GSG-
9-Polizisten herstammten, erlegen ist. Das Interessante an dem Fall ist
aber der letzte tödliche Kopfschuss, der an Grams verübt worden ist und
die Frage, wer dahintersteckt. War es Selbsttötung? Oder hat ein GSG-
9 Beamter den finalen tödlichen Kopfschuss an Grams aufgesetzt? Es
ergeben sich bis zum heutigen Tag Fragen nach dem Tathergang. Sollte
es ein Suizid gewesen sein, dann ist das tragisch. Sollte es jedoch ein
GSG-9-Beamter gewesen sein, der möglicherweise Rache für seinen
getöteten Kollegen Newrzella üben wollte, so ist das ein Skandal, der
ja auch damals die Republik erschüttert hatte. Zahlreiche Vorgesetzte
und hohe Beamte wurden damals entlassen, in den Ruhestand versetzt
oder in eine andere Abteilung versetzt. So ist Bundesinnenminister
Rudolf Seiters von der CDU, ein enger Vertrauter von Bundeskanzler
Helmut Kohl, am 4. Juli 1993 zurückgetreten. Generalbundesanwalt
Alexander von Stahl wurde von Justizministerin Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger in den einstweiligen Ruhestand versetzt. BKA-
Vizepräsident Gerhard Köhler, der angesichts urlaubsbedingter
Abwesenheit von BKA-Präsident Hans-Ludwig Zachert zunächst der
Hauptverantwortliche war, wurde ins Innenministerium versetzt.
Abteilungsleiter Rainer Hofmeyer wurde innerhalb des BKA versetzt,
seine Abteilung später aufgelöst.
Das ergibt insgesamt ein desaströses Bild der damaligen
Verantwortlichen für den GSG-9-Einsatz, der völlig aus dem Ruder
gelaufen ist.
Interessant ist auch die Tatsache, dass damals auf die Ausstattung der
Polizisten durch Schutzwesten aus Kostengründen verzichtet worden
ist. Die mangelhafte Ausstattung hat Newrzella damals das Leben
gekostet. Hätte er eine Schutzweste getragen, wäre er vielleicht heute
noch am Leben. Aber ein „schlanker Staat“ ist wohl wichtiger als ein
Menschenleben.
Merkwürdig ist auch die Tatsache, dass kein parlamentarischer
Untersuchungsausschuss die Vorfälle von Bad Kleinen untersucht hatte,
obwohl damals zahlreiche Unklarheiten und Merkwürdigkeiten die
Vorfälle von Bad Kleinen umgeben haben.
Summa Summarum lässt sich festhalten, dass es viele Ungereimtheiten
um den GSG-9 Einsatz gibt, die bis heute Anlass zu Spekulationen
geben. Aufgrund dessen ist meine Einschätzung, dass es sich aus
moralischen Gesichtspunkten und aus Anstand verbietet, die tragischen
Ereignisse von damals politisch auszuschlachten und auszunutzen. Wer
das macht der handelt schäbig und missbraucht die tragischen
Schicksale von Newrzella und Grams für seine politischen Zwecke.
Falls die AfD Lina E. thematisiert:
Dass Sie von der AfD jetzt den Fall Lina E. thematisieren und den Fall
mit dem GSG-9-Einsatz in Bad Kleinen Verbindung bringen ist
schäbig, denn die Ereignisse damals und heute lassen sich bei genauerer
Betrachtung nicht wirklich in einen Zusammenhang bringen. Damals,
d.h. Anfang der 90er Jahre war noch die letzte Generation der RAF am
Start, die sich zum Ziel gesetzt habt, den Staat zu destabilisieren und
ihn zu transformieren unter Ausübung von Gewalt. Insofern war es klar,
dass die Regierung damals gegen die RAF vorgegangen ist und somit
den GSG-9-Einsatz in Bad Kleinen initiiert hat.
Der Fall Lina E. ist aber völlig anders gelagert. Man muss sich die
politischen und gesellschaftlichen Strukturen in Sachsen und in Leipzig
genauer anschauen. Hier sind Neonazistrukturen omnipräsent.
Drohungen gegen linke Aktivist*Innen und Politiker*Innen sind an der
Tagesordnung. Gewalttaten gegen linke Politiker*Innen und Aktivisten
gehören fast schon zum Alltag. In dieser aufgeheizten Lage, in der linke
Menschen permanent bedroht werden kommt Lina E. in den Sinn, nicht
mehr passiv zu bleiben, sondern aktiv sich zu wehren und gegen
Neonazis vorzugehen. Dass sie dabei Gewalt anwendet, dass
verurteilen wir und lehnen das ab. Aber wie gesagt: Gewalt erzeugt
Gegengewalt und es ist klar, dass das linke Lager nicht tatenlos
zuschauen wird, wenn Neonazimobs und rechte Einzeltäter in Sachsen
bzw. Leipzig ihr Unwesen treiben.
Ja, die Demonstrierenden in Leipzig, die gegen das harte Urteil gegen
Lisa E. demonstrieren, mögen teilweise etwas über die Stränge
geschlagen haben. Es mag zum Teil in Einzelfällen zu
Gewaltausbrüchen in Leipzig Connewitz gekommen sein. Diese
Tatsache sollte allerdings nicht verschleiern, dass die überwiegende
Mehrzahl der Demonstrierenden in Leipzig Connewitz gewaltfrei agiert
und friedlich gesinnt ist.
Man sieht folglich, wenn man den GSG-9-Einsatz mit dem Fall Lina E.
vergleicht, dass es zwei völlig verschiedene Fälle sind, die bei genauer
Betrachtung nicht in einen Zusammenhang gebracht werden können
und gebracht werden sollten. Wenn aber die AfD suggeriert, dem sein
nicht so, es bestünde tatsächlich ein Zusammenhang, dann muss man
dieses Narrativ durch Fakten dekonstruieren, was ich hiermit getan
habe.
Ich bedanke mich für ihre Aufmerksamkeit.