MdL Barbara Borchardt - Hartz-IV-Kompromiss

Barbara Borchardt

Frau Präsidentin,

meine Damen und Herren,

ein Merkmal einer modernen Demokratie ist, wie wir alle wissen, die Gewaltenteilung.

Das heißt es, es gibt nicht nur ein moralisches Gewissen in der Gesellschaft, in einem Staat, sondern auch eine Instanz, die das Handeln der Legislative und der Exekutive, also auch die Einhaltung der Gesetze durch diese, überprüfen und sogar stoppen und korrigieren kann und muss, wenn diese System dauerhaft funktionieren soll.

Die Bundesrepublik Deutschland ist eine solche moderne Demokratie und verfügt mit dem Bundesverfassungsgericht über eine solche Instanz.

Die primäre Aufgabe dieses höchsten Gerichtes im Staat ist es, die Einhaltung der Verfassung und aus Ermangelung einer Verfassung die Einhaltung des Grundgesetzes zu überwachen.

Soweit so gut klingt das hohe Lied der Demokratie.

Was aber, wenn eine Regierung und ein Bundestag ein Gesetz beschlossen und ein Bundespräsident ein solches erlassen hat, dass mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist, ihm, dem Grundgesetz also entgegensteht und das Oberste Gericht dies feststellt.

Zunächst einmal könnte man im Einzelfall sagen, das war nicht absehbar, nicht offensichtlich. Man korrigiert das Gesetz und geht zur Tagesordnung über.

Die andere Möglichkeit besteht – wie im Fall der Jobcenter – darin, das Grundgesetz zu ändern.

Im Fall der Jobcenter stellt sich im Nachgang die Frage, ob es in Anbetracht des existierenden Kooperationsverbotes zwischen Bund und Kommunen nicht absehbar war, dass die Zusammenarbeit dieser beiden Ebenen nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

Ich sage: Ja, das war absehbar und der offensichtliche Verstoß wurde wissentlich in Kauf genommen.

Im Fall der Hartz-IV-Regelsätze haben wir nun bereits ein Urteil des obersten Gerichts. Im Fall der ersten Hartz-IV-Regelsätze gab es seit deren bekannt werden im Jahr 2004 ein Vielzahl von Hinweisen und Fachmeinungen, die die Art und Weise der Ermittlung der Regelsätze als fehlerhaft und damit als unzulässig dargestellt haben. Genau wie jetzt auch.

Das offensichtlichste Beispiel für den Verstoß waren die lineare prozentuale Übertragung der Regelsätze der Erwachsenen auf die Kinder und das Herausstreichen ganzer Ausgabenabteilungen aus der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe, die die Basis für die Ermittlung der Regelsätze liefert.

Gegen die Ermittlung der Regelsätze richtete sich in einem wesentlichen Punkt das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil und kam dann zu dem Schluss, dass die so ermittelten Regelsätze mit Artikel 1 des Grundgesetzes nicht vereinbar sind, auch weil sie die betroffen Hilfebedürftigen weitestgehend von gesellschaftlicher, kultureller und politischer Teilhabe ausgeschlossen haben. Das Bundesverfassungsgericht hat die Kritik an der Ermittlung der Regelsätze, die seit dem Jahr 2004 vorgetragen wurden, insgesamt bestätigt.

Ausgestattet mit diesem Urteil hatte die Bundesregierung den Auftrag, bis zum 1. Januar 2011 Regelsätze in Kraft zu setzen, die transparent und nachvollziehbar, also ausreichend begründet sowie ohne Zirkelschlüsse, ermittelt werden sollten.

In zahlreichen Stellungnahmen zur Anhörung im Deutschen Bundestag und darüber hinaus, meine Fraktionskollegen haben darauf schon hingewiesen, wurde fachlich und sachlich nachgewiesen, dass auch die neuerliche Ermittlung der Regelsätze die Vorgaben des Gerichtes nicht erfüllt. Die Grünen sind deshalb aus den Vermittlungsverhandlungen ausgestiegen und selbst die SPD, auch darauf wurde schon hingewiesen, hat am Ende der Verhandlungen Bedenken geäußert, dass diese Regelsätze vor dem Gericht bestehen können.

Frau von der Leyen und die Bundeskanzlerin haben dem Bundespräsidenten einen Bärendienst erwiesen, indem sie ihm diese Regelsätze vorgelegt haben. Er muss als Erster prüfen, ob diese Regelsätze mit dem Grundgesetz vereinbar sind und kann dabei natürlich das Urteil vom 9. Februar nicht außer Acht lassen. Wahrscheinlich dauert deshalb die Freigabe des Gesetzes bis heute an und meine Damen und Herren, es wäre wegen dieses vorliegenden Urteils eine schallende Ohrfeige für den Präsidenten dieser Republik, wenn er das Gesetz unterzeichnet und das Gericht im Nachgang die Regelsätze erneut für grundgesetzwidrig erklärt.

Also, meine Damen und Herren, von der CDU, Herr Mantei, Falsches wird durch fortwährende Wiederholung nicht richtig. Sorgen sie stattdessen für Rechtssicherheit. Nur so könne sie wenigsten hier im Land noch einigermaßen das Gesicht wahren.

Verhelfen Sie den Betroffen, zu ihrem Recht zu kommen.