Jeannine Rösler zum Thema: Klare Haltung einnehmen zum militärischen Vorgehen Russlands gegen die Ukraine und deren Konsequenzen für die Landespolitik
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Aussprache zum Thema
„Klare Haltung einnehmen zum militärischen Vorgehen Russlands gegen die Ukraine und deren Konsequenzen für die Landespolitik“
(auf Antrag der Fraktionen der CDU, Bündnis 90/DIE GRÜNEN und FDP)
Frau Präsidentin,
meine Damen und Herren,
viele von uns haben ukrainische und russische Bekannte und Freunde. Ungeachtet der Herkunft wurden Menschen zu Freunden, Ukrainer wie Russen, deren Leben bereits vor mehr als sechs Jahren in der Region Donbass unerträglich wurde – wir erinnern uns an die gewaltsamen Auseinandersetzungen. Diese Menschen kamen nach Deutschland, zu uns nach Mecklenburg-Vorpommern, weil sie Schutz suchten, weil sie hofften, hier in Frieden leben, lernen und arbeiten zu können. Sie wurden Teil unserer Gesellschaft. Dennoch durften viele nicht bleiben, sie wurden abgeschoben. Wir hielten zu unseren Freunden und Bekannten über die sozialen Medien, soweit es ging, den Kontakt. Und jetzt, jetzt sind sie womöglich wieder auf der Flucht. Allein dieser Gedanke ist unerträglich. Ich habe keine Nachricht von Familie Bakurov, von Albert und Natali, die nach ihrer Abschiebung und verschiedenen Stationen irgendwann in Kiew ankamen und dort seit einiger Zeit mit ihrer Familie wohnen. Ich weiß nicht, wie es ihnen geht. Wir machen uns große Sorgen… wie so viele! Menschen bangen um das Leben und die Unversehrtheit ihrer Angehörigen. Und dabei ist es völlig irrelevant, welcher Herkunft sie sind. Wir sind in Gedanken bei allen, die unter diesem Krieg leiden müssen. Wir sind solidarisch mit der ukrainischen Bevölkerung, solidarisch mit allen, die in Russland mutig und laut gegen diesen Krieg demonstrieren – ihre Zahl wird immer größer, ein hoffnungsvolles Zeichen. Wir sind solidarisch mit allen Menschen, die überall auf der Welt ihre Stimme für den Frieden erheben.
Meine Damen und Herren,
auch wenn wir uns jede Stunde, ja bald jede Minute, mit diesem barbarischen Geschehen beschäftigen, bleibt es für mich nach jetzt knapp sechs Tagen immer noch unfassbar, dass es geschehen ist und dass es geschieht – in Europa herrscht Krieg.
In vielen Regionen, Städten und Dörfern der Ukraine gibt es Angriffe und Explosionen. Bilder von zerstörten Gebäuden und Straßen. Menschen befinden sich auf der Flucht. Die Eskalation hat bereits zahlreiche Opfer gefordert und droht viele weitere zu fordern, auch unter der Zivilbevölkerung. Europa steht vor den Trümmern des geborstenen Verhältnisses zu Russland.
Und um es deutlich zu sagen: Russlands Präsident Putin hat den Angriff auf die Ukraine befohlen. Es ist Putins Krieg, nicht der der russischen Bevölkerung.
Eine russische Freundin schrieb mir gestern nach dem Gespräch mit ihrer Familie: „Wir alle finden die Tatsache, dass unser Land einen Krieg führt, unbegreiflich und unerträglich.“
Ohne Wenn und Aber: Wir verurteilen den völkerrechtswidrigen Angriff auf das Schärfste!
Wir fordern die sofortige Einstellung aller Kampfhandlungen und den Rückzug der russischen Truppen. Der Krieg muss ein Ende haben! Dieser Überfall ist mit nichts und von niemandem zu rechtfertigen. Wir fordern alle Kriegsparteien auf, umgehend eine diplomatische Lösung des Konflikts anzustreben, um weiteres Blutvergießen, weitere Zerstörung und unermessliches Leid zu vermeiden.
Meine Damen und Herren, es geht um nichts Geringeres als Krieg und Frieden. Deshalb ist es geboten, parteitaktische Fragen in dieser Landtagsdebatte weitgehend zurückzustellen. Zwei Aspekte stehen für mich und meine Fraktion außer Zweifel. Erstens sind die Entwicklungen im Russland-Ukraine-Konflikt erschreckend und ein kriegerischer Flächenbrand in Europa nicht mehr ausgeschlossen. Russland verletzt die territoriale Integrität der Ukraine und bricht damit das Völkerrecht. Für uns gibt es nur ein Ja zum Frieden, ein Ja zur Diplomatie und Ja zu Gesprächen auf Augenhöhe, was selbstverständlich die Anerkennung der staatlichen Souveränität der Ukraine durch Russland einschließen muss.
Meine Damen und Herren,
Konflikte dürfen nicht militärisch ausgetragen werden. Auseinandersetzungen können ohnehin in unserer Zeit militärisch nicht gewonnen werden. Deshalb ist es aus unserer Sicht nicht der richtige Weg, mit 100 Milliarden Euro aufzurüsten, Waffen zu liefern und sich so an der militärischen Auseinandersetzung zu beteiligen. Dies erscheint umso beschämender, wenn dieser gigantischen Summe gerade mal ein zweistelliger Millionenbetrag für die humanitäre Hilfe gegenübersteht. Lassen Sie mich an dieser Stelle allen Menschen danken, die sich ehrenamtlich für die Geflüchteten engagieren, sie mit Geld- und Sachspenden unterstützen, sie begleiten und Unterkünfte zur Verfügung stellen.
Meine Damen und Herren,
das Thema der Aussprache fordert eine klare Haltung zu den Konsequenzen für die Landespolitik. Diese Forderung ist für mich so nachvollziehbar wie sie zugleich unrealistisch sein dürfte. Richtige Konsequenzen von gestern und heute sind möglicherweise morgen schon Makulatur. Sachlich gesehen können gegenwärtig weder Landesregierung noch Landtag mögliche Auswirkungen dieses europäischen Konfliktes mit geopolitischem Hintergrund auf Mecklenburg-Vorpommern komplex und abschließend erfassen.
Meine Damen und Herren,
wenn es um die Frage von Konsequenzen geht, müssen wir uns auch und vor allem fragen: Welche Konsequenzen ergeben sich aus den Fluchtbewegungen, aus der Aufnahme von Schutzsuchenden? Welche Maßnahmen müssen wir ergreifen, damit die Menschen, die zu uns fliehen, unbürokratisch Schutz, Hilfe und Unterstützung finden? Von welchen Konsequenzen sprechen wir, wenn wir die menschliche Dimension in den Blick nehmen, also auch die bereits bei uns lebenden Ukrainerinnen und Ukrainer bzw. Russinnen und Russen?
Welche klare Haltung ist gemeint, wenn es um zu erwartende Auswirkungen auf den Doppelhaushalt geht? Von welcher klaren Haltung sprechen wir, wenn wir auf Konsequenzen hinsichtlich unserer Energie- und Wirtschaftspolitik zu sprechen kommen?
Meine Damen und Herren,
Russland war für unser Land schon immer ein wichtiger Handelspartner.
Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass sich der Handel mit der Russischen Föderation abgekühlt hat. Die politischen Spannungen und die Sanktionen haben längst Spuren hinterlassen. Und diese Spuren werden in den kommenden Monaten und Jahren noch tiefer. Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine hat sich Europa verändert. Die Rede ist gar von einer Zeitenwende. Auf die Veränderungen und Entwicklungen muss auch Mecklenburg-Vorpommern reagieren. In vielen wichtigen Bereichen tun wir dies bereits.
Meine Damen und Herren,
weitreichende Sanktionen gegenüber Russland und auch russische Sanktionen gegen die Europäische Union werden Mecklenburg-Vorpommern zwingen, sich strategisch in der Außenwirtschaft neu aufzustellen, die Außenwirtschaftsstrategie zu evaluieren und anzupassen. Verstehen Sie mich richtig: Eine neue strategische Ausrichtung ist mitnichten ein Abgesang auf die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland. Auch die vielfältigen kulturellen Beziehungen, zahlreiche sportliche Interaktivitäten und der wissenschaftliche Austausch werden unter der aktuellen Lage massiv leiden. Wir müssen sorgsam darauf achten, dass im Interesse eines friedlichen Miteinanders der Völker nicht alle Fäden unwiederbringlich abgeschnitten werden.
Meine Damen und Herren,
bei all der komplexen und unsicheren Lage können wir heute bereits davon ausgehen, dass erstens die Preise für fossile Energie enorm steigen werden und zweitens der Ausbau Erneuerbarer Energien der einzige Weg ist, uns unabhängiger von Energieimporten von Kohle, Rohöl und Erdgas – gleich ob Erdgas oder Flüssig-Erdgas – zu machen.
Es rächt sich bitter, dass der Gasmarkt völlig liberalisiert und vom Börsenhandel bestimmt ist. Das sind die Hauptgründe für Knappheit und Preisanstieg von Gas. Deshalb ist eine staatliche Regulierung für die Gasreserve oberstes Gebot.
Meine Damen und Herren,
auch deshalb ist es unerlässlich, dass das Entlastungspaket wegen der exorbitant hohen Energiepreise erneut verhandelt wird. Es kann nicht sein, dass Mittel für ein gigantisches Aufrüsten über Nacht bereitgestellt werden, der Bundesfinanzminister Steuererhöhungen weiterhin ausschließt und bei der Grundsicherung gerade mal 100 Euro angedacht sind.
Auch bei der Erzeugung Erneuerbarer Energien muss es endlich sozialer zugehen. Wir brauchen endlich eine solidarische Wälzung der Kosten und darüber hinaus muss ein spürbarer Vorteil für Beteiligung und betroffene Kommunen erreicht werden. Auch das sind notwendige Konsequenzen, die gezogen werden müssen.
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